Storytime – Eine Spielplatzanekdote

Ich muss immer öfter an den Artikel „Wer bestimmt was gespielt wird? – Ein Spielplatz ist kein Zirkeltraining“ von Susanne Mierau denken, weil es immer wieder Begegnungen gibt, die einen erstaunt, ver– wirrt oder frustriert zurücklassen. Gestern erst musste ich mich wieder sehr über eine Frau auf dem Spielplatz wundern. Ich war eigentlich immer ganz froh, wenn wir nachmittags noch auf den Spielplatz gehen konnten, weil es hieß, dass ich mich mal etwas zurücklehnen und ausruhen konnte. Schließlich gibt es genügend Raum zum Austoben und im günstigsten Fall andere Kinder mit denen das Lieblingskind zusammen spielen kann. Ich kann in der Zeit quatschen, lesen oder gar nichts tun. Ich helfe lediglich, wenn ich darum gebeten werde oder schaue, wenn ich gerufen werde. Glücklicherweise hat das Lieblingskind immer Dinge getan, die es sich selbst schon zutrauen konnte und wenn es irgendwas noch nicht so konnte, musste ich selten Angst haben, dass es sich in eine gefährliche Situation begibt, aus der es nicht mehr allein herauskommt.

Gestern kamen wir zu einem Spielplatz mit Seilbahn. Die war natürlich sehr verlockend und das Lieblingskind stellte sich an, weil ein anderes Kind bereits darauf war. Es wurde immer wieder von der Mama zurückgeholt und wieder angeschubst. Nach zweimal wurde das Lieblingskind ungeduldig und rief mir zu: „Die sehen mich gar nicht.“ Ich hatte jedoch schon gesehen, dass sie ihn bemerkt hatten, aber noch zu Ende spielen wollten und so rief ich ihm zu, dass er nur kurz warten müsse, bis das Mädchen fertig ist. Der Papa nickte mir zu und die Mama meinte, nur noch einmal. Dann hatte das Lieblingskind die Seilbahn ganz für sich allein.

Es brauchte einen kurzen Moment, bis es wieder wusste, wie es allein rauf kam und freute sich dann riesig, als es endlich lossauste. Ich freute mich mit ihm und das wurde von einer anderen Mama bemerkt, die ein Stück entfernt auf einer anderen Bank saß – eigentlich mit dem Rücken zu uns. Sie drehte sich um, sah unsere Freude und schien zu denken: ‚Ja, das will ich auch für mich und mein Kind.‘ Also rief sie sofort ihre Tochter, die gerade mit etwas anderem beschäftigt war. Sie musste mehrmals rufen und dann zu ihr laufen, um sie von ihrem Plan zu überzeugen. Das Kind war noch sehr klein und wusste gar nicht was los ist, ließ sich aber von der Begeisterung der Mama anstecken. Also rannten sie auf mein Kind zu, das gerade mühsam, den Sitz wieder zurückschob und das ja gerade erst angefangen hatte, damit zu spielen. Es hielt den Kopf zwischen den Armen, um die Frau nicht zu hören und zu sehen. Offenbar, wollte es auch nicht gleich wieder rausgerissen und gestört werden. Die Frau fragte dann jedoch noch lauter, „Hallo, wie heißt denn du?“ Mein Sohn: „Sag ich nicht.“

Ich beobachtete die Szene teils amüsiert, teils wütend. Ich wollte mich da auf keinen Fall einmischen und wunderte mich nur über so viel Unaufmerksamkeit. Dann fragte sie ihn, ob ihre Tochter jetzt auch mal damit rutschen dürfe. Seine knappe Antwort, war „Nein.“ Er setzte sich schnell wieder drauf, um wenigstens noch eine Runde runtersausen zu können. Die Frau rief noch hinterher. „Okay, der Junge rutscht noch eine Runde, dann bist du dran.“

Gut wenn mehrere Kinder an einem Gerät anstehen, finde ich es auch fair, abzuwechseln. Das können die Kinder auch meist ganz gut, ohne dass wir uns groß einmischen müssen. Aber was war das denn bitte? Dieses Kind stand gar nicht an, es hatte zuvor nicht mal Interesse daran. Verständlich, dass das Lieblingskind entsprechend unwirsch reagierte.

Er gab den Sitz natürlich trotzdem frei. Die Frau rannte ihm ja auch gleich entgegen, um ihm den Sitz quasi zu entreißen. Dann setzte sie ihr Kind, das viel kleiner war, darauf und meinte immer wieder: „Du musst dich gut festhalten, halt dich fest.“ Das Beinchen rutschte schon langsam herunter und sie meinte immer nur „Festhalten.“ Dann lag es auch schon unten. Die Mama immer noch ganz euphorisch: „Schön festhalten, komm ich setz dich wieder rauf.“ Das Kind aber strömte nur weg: „Nein, ich will nicht.“ Na okay, dann drückte sie meinem Kind den Sitz eben wieder in die Hand. Es hatte nun die Seilbahn wieder für sich.

Warum? frage ich mich. Warum, konnte diese Frau nicht einfach nur erst einmal in Ruhe zuschauen und sich dann eventuell oben mit ihrem Kind anstellen? Warum musste sie sofort, als sie uns erblickte, ihr Kind rufen und mit ihm dazu stürmen? Warum konnte sie nicht genießen, dass ihr Kind schon ganz vertieft allein spielte und sie sich ausruhen konnte? Warum erwartete sie, dass mein Kind auch noch sofort die Seilbahn wieder freigibt, für jemanden, der nicht mal angestanden hatte, sondern mitten im Spiel dazu gestürmt kam?

Für mich handelte diese Frau ebenso impulsiv und irrational wie ein kleines Kind, das etwas erblickte und es sofort haben musste. Daher war es für mich auch ähnlich wie in Situationen, in denen ich denke: das können die Kinder unter sich ausmachen. Aber wie reagiert man richtig, wenn es sich im Grunde genommen um andere Erwachsene handelt?

Wie hatte sie diese Situation wahrgenommen? Was ging in ihr vor? Hatte sie überhaupt etwas gedacht, bevor sie handelte?

Ich verstehe die meisten Menschen eigentlich sehr gut, kann ihre Beweggründe nachvollziehen. Aber hier fiel es mir verdammt schwer. Es kam mir einfach kindisch und irrational vor. Am Ende war ich froh, dass ich nichts sagen musste, und dass sie auch von mir nicht verlangte, mein Kind zum Abwechseln anzuhalten. Ich blieb einfach verwirrt und irgendwie fassungslos über das Beobachtete zurück.

Wie hättet ihr reagiert? Findet ihr, ich übertreibe? Kennt ihr solche Situationen?

„Der wird mal Chef!“ oder: Wie war das mit dem Respekt gleich noch mal?

Ich hatte heute mit dem Lieblingskind einen spannenden Nachmittag mit SinnStationen geplant, die gerade im Einkaufszentrum aufgebaut sind. Das Ganze hat etwas von einem Kindermuseum, wo es viel auszuprobieren, spielen und entdecken gibt. Es gab jedoch auch viel Frust auszuhalten, da wir natürlich nicht allein dort waren und viele Kinder (und Erwachsene) gleichzeitig die Stationen anschauen wollten. Das ist normal und eine Möglichkeit, Warten und Geduld zu üben.

Im Grunde genommen hatte das Lieblingskind die meiste Zeit extrem viel Geduld bewiesen für sein Alter. Dass es jedoch auch mal sauer wird, wenn andere Kinder einfach reingreifen, während er gerade etwas ausprobiert und zuvor gewartet hatte, ist verständlich. Auch die kindliche Reaktion, dann einfach mal die Kugel aus dem Spiel zu nehmen und damit wegzulaufen, nachdem „Nein“ sagen nichts gebracht hatte. Ich lief also gerade hinterher, um ihm zu sagen, dass das andere Kind, was jetzt dran ist, traurig wird, weil das Spiel ohne Kugel nicht funktioniert, als dieses wirklich große Kind (ca. 12, 13 Jahre alt) hinterherrannte, um ihm den Ball zu entreißen. Das versuchte er, obwohl ich neben dem Lieblingskind hockte und gerade dabei war, den Ball wiederzubekommen. Daraufhin rannte es natürlich wieder los. Okay, soweit auch noch im Rahmen des Normalen. Was ich dann aber alles andere als normal fand, war die Reaktion zweier älterer Frauen, die ebenfalls meinten, hinterherrennen und mein Kind festhalten zu müssen, um ihm den Ball am besten zu entreißen. Und das alles, obwohl sie sehen konnten, dass ich als Mutter dabei war und mich um die Angelegenheit kümmerte. Und diese Angelegenheit hatte noch keine 30 Sekunden gedauert, als sie meinten sich einmischen zu müssen. Nun redeten also gefühlt fünf Menschen auf ihn ein und drängten ihn auch physisch in die Ecke, sodass er anfing zu weinen und die Kugel natürlich erst Recht nicht los ließ.

Ich war fassungslos über so viel Ungeduld und soziale Inkompetenz. Von einem Dreijährigen wird erwartet, dass es sich am besten schon mal fünf Minuten in einer Schlange anstellt und die erwachsenen Frauen konnten nicht eine Minute warten, dass es weiterging. Und das, wo es rundherum weitere Stationen gab, die es auszuprobieren galt. Am Ende kam dann auch noch ein dummer Spruch wie „Der wird mal Chef, der liebt jetzt schon Machtspielchen.“ (Wie viele Menschen kann man eigentlich in einem Satz beleidigen?)

Und wer spielte Machtspielchen? Ein Dreijähriger, der überhaupt nicht weiß, was Macht eigentlich heißt, oder die Erwachsenen, die zu Dreijährigen werden, wenn sie nicht absolute Kontrolle haben und ihren Willen mit Macht durchsetzen können? Was konnte das Lieblingskind heute lernen? Das man sich das Spiel mit Gewalt aneignen kann, auf das man gerade Lust hat? Dass warten und abwechseln – also kooperieren – vielleicht doch nicht notwendig ist?

Ich bin sehr froh, dass ich bisher von solchen Einmischungen oder auch hohlen Kommentaren verschont geblieben bin. Diese Geschichten kenne ich meist von anderen und weiß natürlich, dass auch schon mal der ein oder andere die Augen über mich verdreht. Dem einen ist man grundsätzlich zu locker und dem anderen zu streng. Damit muss ich leben und natürlich bin auch ich nicht nicht immer völlig wertfrei unterwegs. Dennoch sollte einem doch klar sein, dass man gerade eine einzige Situation beobachtet und man nicht wissen kann, wie es zu dieser Situation kam.

Die respektvollere Variante:Liebe und Eigenständigkeit
Ich kann ganz kurz schildern wie es abläuft, wenn man dem Lieblingskind die Zeit gibt, eine Situation selbst zu lösen, statt es eilig zu haben und auf sofortiges Erfüllen einer Forderung (von Bitte kann keine Rede mehr sein) zu reagieren. Ich erkläre dem Kind kurz die Folgen – nämlich, dass das andere Kind traurig ist, wenn man ihm einfach die Kugel wegnimmt – und lasse es dann in Ruhe. Dann hat es Zeit, sich selbst die Situation zu betrachten und durchaus schon Empathie für das andere Kind zu entwickeln, um sich dann eben nach einer Minute selbst dazu durchzuringen, die Kugel zurückzubringen. Diese Minute kommt einem meist nur länger vor. Aber es ist eine Minute. Und diese eine Minute tut niemandem weh. Die Eskalation der Sitution dagegen, hinterlässt Spuren auf der kleinen Kinderseele.

Die gleiche Erfahrung mache ich auch morgens. Je mehr ich in Stress gerate und es auf das Lieblingskind abwälze – es also antreibe – desto länger dauert es. Sage ich mir, die zehn Minuten habe ich jetzt auch noch, werden es nicht mal zwei.

Alfie Kohn hat es in einem Beispiel so schön geschrieben:

Es tut mir leid, Schatz, aber du musst deinen Mantel anziehen. Draußen ist es sehr kalt und wir müssen ein Stück gehen. Aber wenn du lieber noch etwas warten willst, ist das auch in Ordnung. Sag mir Bescheid, wenn du soweit bist.“

Dieses „Sag mir Bescheid, wenn du soweit bist.“ nimmt so viel Druck aus der Situation und so viel Druck vom Kind. Es fühlt sich nicht mehr nur kontrolliert und gezwungen, auch wenn in dieser Situation auf die Forderung den Mantel anzuziehen, weiterhin bestanden wird. Es gibt eben Situationen, in denen etwas getan werden muss (was das Kind eigentlich nicht will). Dann ist es hilfreich, wenigstens die Entscheidung darüber zu lassen, wie oder wann es getan wird. Und es gibt Situationen, auf die ich nicht bestehen muss, weil sie nicht Sicherheit und Gesundheit gefährden. Dann ist es möglich, eine gemeinsame Lösung zu finden, mit der wir alle gut leben können. Das geht allerdings nur, wenn ich das Kind ernst nehme, also als vollwertige und gleichwürdige Persönlichkeit respektiere. Das bedeutet nicht, dass ich das Lieblingskind mit Entscheidungen überfordern werde, für die es noch nicht reif ist und dass alles basisdemokratisch diskutiert werden muss. Sondern es heißt, ich nehme die Gefühle, Wünsche und Fragen des Kindes ernst und berücksichtige sie bei Entscheidungen und Lösungsvorschlägen.

Einige gute Grundgedanken wie Kinder langfristig zu empathischen Menschen werden können, die andere mit Respekt behandeln, hat Alfie Kohn in seinem Buch „Liebe und Eigenständigkeit“ sehr schön beschrieben. Er stellt in seinem Buch gleich zu Beginn die Frage nach den langfristigen Zielen, die Eltern für ihr Kind haben. In der Regel wünschen sie sich, „dass ihre Kinder glückliche, ausgeglichene, selbstständige, ausgefüllte, produktive, selbstbewusste, seelisch gesunde, freundliche, rücksichtsvolle, verantwortungsbewusste, liebevolle, wissbegierige und zuversichtliche Menschen würden.“ Wir verhalten uns als Eltern aber oft so, als sei unser Ziel, dass andere über unser Kind sagen würden: „Mensch, dieses Kind tut alles, was man ihm sagt, und es macht nie einen Mucks.“ (Alfie Kohn)

Was sind eure langfristigen Ziele oder Wünsche für eure Kinder? Wie geht ihr damit um, wenn andere sich mit gut gemeinten Ratschlägen oder aber beleidigenden Kommentaren einmischen? Habt ihr gute Strategien für solche Momente oder schafft ihr es, es einfach an euch abperlen zu lassen?

Eure Sabrina